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Tim Ole Jöhnk ist Direktor des NGIO – Northern Germany Innovation Office. Sein Dienstsitz: das Silicon Valley. Von hier aus vernetzt er Unternehmen aus Norddeutschland mit dem weltweiten Hot Spot der Digitalisierung. Wir haben mit ihm über die momentane Situation gesprochen:

WTSH-Online-Redaktion: Tim Ole, San Francisco und die Bay Area waren die ersten Gegenden, die eine Ausgangssperre verhängt haben. Tim Ole, Du wohnst direkt auf dem Stanford Campus. Kannst Du kurz schildern, wie es sich dort momentan anfühlt?

Jöhnk: Der Campus fühlt sich verwaist an, aber inzwischen sind alle sehr froh, dass die Kommunen sich zu diesem Schritt entschieden haben. Nur wenige Geschäfte sind geöffnet und man sieht nur wenige Leute auf der Straße – ein ungewohntes Bild. Nach wie vor kann man viele Lebensmittel nicht bekommen und muss lange Lieferzeiten bei Lebensmittel-Lieferdiensten in Kauf nehmen, weil viele Menschen jetzt ihre Lebensmittel online bestellen. Normalerweise erfolgen die Lieferungen innerhalb von 2 Stunden, spätestens am nächsten Tag. Zurzeit muss man aber etwa 3 Tage im Voraus bestellen. Und bereits jetzt ist klar, dass die Uni auch im nächsten Quartal nur Online unterrichten wird.

WTSH-Online-Redaktion: Auch Du arbeitest im Homeoffice und hast Dein Esszimmer in Dein Büro umgewandelt. Wie sieht derzeit Dein Arbeitsalltag aus?

Jöhnk: Zurzeit besuche ich fast täglich virtuelle Pitch-Events. Die Venture Capital Szene konzentriert sich zur Zeit stark auf die Bereiche HealthCare und Retail. Wir suchen gerade nach geeigneten Formaten, um diese Events auch für mehr Unternehmen in Norddeutschland zugänglich zu machen. Da viele der hier ansässigen Firmen auch in normalen Zeiten virtuell arbeiten, haben wir glücklicherweise eine gut entwickelte Infrastruktur. Alle meine Termine, die ich auf meinem Kalender habe, sind deshalb jetzt einfach online.

WTSH-Online-Redaktion: Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der ganzen Welt quasi über Nacht gezwungen worden zu digitalisieren, um zumindest das Kerngeschäft am Leben zu erhalten. Wie kannst Du im NGIO momentan und in Zukunft dabei unterstützen?

Jöhnk: Ein Beispiel: Die meisten Firmen dürften inzwischen von Slack, Asana und Zoom gehört haben. Diese Team-Messenger Programme dienen dazu, Teams, die normalerweise in einem Büro zusammenarbeiten, nun in die virtuelle Welt zu bringen. Sie werden gerade jetzt sehr stark genutzt! Ich denke, dass es sich besonders jetzt anbietet, auch den nächsten Schritt zu gehen, um virtuellen Teams die Arbeit zu erleichtern. Es gibt zum Beispiel einfache KI-Programme und Bots, die die Kommunikation in den Team-Messenger Programmen nutzen, um bestimmte Daten anzureichern, weiter zu verarbeiten, in bestimmte Kategorien einzuordnen oder bestimmte Aktionen durchzuführen. So können auch in einem virtuellen Team komplexere Arbeiten erledigt werden.

Sobald wir aber diesen Krisenmodus überstanden haben, können wir im NGIO dabei noch verstärkter und zielgerichteter helfen, nach Technologien zu suchen, die Firmen dabei unterstützen, Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Wir haben aus der Krise gelernt!

WTSH-Online-Redaktion: In Schleswig-Holstein versuchen sich mittlerweile Unternehmen auf die Krise einzustellen und ihre Dienstleistungen anzupassen. Gibt es auch Beispiele aus dem Silicon Valley?

Jöhnk: Viele erfinden sich über Nacht neu. So nutzen viele der hier ansässigen Firmen ihre eigenen Plattformen, um einen Beitrag zu leisten. Der Team-Messenger Dienst Zoom bietet etwa allen Schulen in den USA, Südkorea und Italien unbegrenzte Freilizenzen an. Mitarbeiter, die sich normalerweise um Akquise und Customer Success kümmern, helfen jetzt, Lehrpläne für Schulen anzupassen und weitere Funktionalitäten auf die eigene Plattform zu bringen. Andere Firmen haben festgestellt, dass ihre Algorithmen dabei helfen, bedürftige Bezirke zu erkennen um dann daraufhin Helfer in diese Gebiete zu entsenden oder Lebensmittellieferungen dorthin zu organisieren. Aber natürlich gilt das auch nicht für alle.

WTSH-Online-Redaktion: Ein kleiner, vorsichtiger Blick in die Zeit nach der Corona-Krise: wie sollten sich Unternehmen aufstellen und wie werden das NGIO und die WTSH dabei unterstützen?

Jöhnk: Eine der Antworten darauf lautet: Innovation must go on! Und dabei meine ich jetzt nicht, dass wir mit Technologie alle Probleme lösen können. Ich denke aber, dass Firmen, die schon vor der Pandemie eine aktive Strategie zum (digitalen) Wandel hatten, sich besser auf sich schnell ändernde Situationen einstellen können. Das zeigt, dass wir genau dabei weiterhin unsere mittelständischen Unternehmen in Schleswig-Holstein unterstützen müssen: Wir müssen jetzt die Unternehmen dabei unterstützen, die aus der Not geborenen, digitalen Strukturen zu optimieren und zu erweitern. Sei es für den Einzelhandel einfache Möglichkeiten zu benennen, um eine eigene Community aufzubauen und Kunden auf neuen Formaten anzusprechen. Oder für das produzierende Gewerbe logistische Prozesse sichtbarer zu machen und zu optimieren oder für alle Firmen den internen Einsatz von Technologie zu verbessern.

Das Interview führte Ute Leinigen/WTSH.

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